Nicht Mutter Angela

Sie wird gefeiert, weil sie Flüchtlinge gerettet hat, aber Merkel ist keine moralische Antwort auf Donald Trump.

angela merkel, merkel deutschland kanzler, donald trump, us wahlen 2016, us präsidentschaftswahlen 2016, weltnachrichten, express spalteBundeskanzlerin Angela Merkel während einer Pressekonferenz in Berlin (Quelle: AP)

Während sich die Welt mit dem neuen US-Präsidenten abmüht, ist eine Person wie sein moralischer Antipode aufgetreten – Angela Merkel. Der Spiegel hat vor einem Jahr die Bundeskanzlerin mit einem blaugeränderten Sari dargestellt, Mutter Angela, die heilige Teresa der Flüchtlinge. Gegen Donald Trumps proklamierten Isolationismus und Rassismus erscheint sie, die ihn in ihrem ersten Statement an die Menschenwürde erinnerte, umso mehr wie ein Beispiel humanitärer Politik.

Dieses Merkel-Bild ist jedoch irreführend – und falsch. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks war 2016 das tödlichste Jahr im Mittelmeer. Die tragischen Opfer von Flüchtlingen belaufen sich auf 4.271 Tote oder Vermisste. Die Wahrheit ist, Merkel glaubt nicht, dass die schwebenden, aufgedunsenen, toten Körper ihr Problem sind.

Als im vergangenen Jahr die Welt über die Millionen in Deutschland Zuflucht gefunden hatte, setzte sich Merkels Innenministerin dafür ein, eine italienische Rettungsmission zu beenden. Er hielt es für einen Pull-Faktor für Migration. Die Folgemission der EU war eine Verteidigungs- und keine Rettungsaktion.

Wie steht es um Merkels Bemühungen, andere europäische Länder zur Aufnahme von Flüchtlingen zu bewegen? Es sieht aus wie eine Weltverbesserer-Mission, ist aber eigentlich eine egoistische. Bis 2015, 10 Jahre ihrer Kanzlerschaft, war sie vehement gegen eine Flüchtlingsquote. Sie hielt ein von Deutschen entworfenes EU-Asylabkommen aufrecht, um Flüchtlinge aus Deutschland fernzuhalten. Es oblag Italien, Griechenland, Ungarn und Spanien, Schutzsuchende zu ernähren und zu registrieren. Merkel hat nie geholfen, sondern die Länder des Südens während der Euro-Krise zu strengen Sparmaßnahmen gezwungen. Kein Wunder, dass ihr Plädoyer für eine Flüchtlingsquote inzwischen von vielen EU-Ländern abgewiesen wird.

Dennoch hat ihr ihre führende Rolle in der EU-Flüchtlingskrise weltweite Anerkennung eingebracht. Das TIME Magazine wählte ihre Person des Jahres 2015. Karl Vick argumentierte, die Aufnahme der Flüchtlinge, die am 4. September 2015 durch Budapests Straßen marschierten, sei: die offenherzigste Geste der jüngeren Geschichte.

Aber man könnte auch argumentieren, dass es rational war. In dieser Nacht hätte ihre Alternative – die Grenzen geschlossen zu halten – einen menschlichen Tribut fordern können. Ungarns Präsident Victor Orbán drohte, die Randalierer um jeden Preis zu stoppen. Der Flüchtlingszustrom war so stark angeschwollen, dass er die europäische Peripherie zu destabilisieren drohte. Vor etwa 10 Jahren war die Region im ehemaligen Jugoslawien Schauplatz der tödlichsten ethnischen Zusammenstöße in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Wären die Unruhen dort nicht auf Merkel nach hinten losgegangen?

Mit ihrer Entscheidung für durchlässige Grenzen bot sie ihr Land als Überflutungsbecken an und ließ sich Zeit, eine europäische Lösung auszuarbeiten. Merkel tauschte ein Übel – Blutvergießen auf dem Balkan – mit einem anderen aus: Unruhen in der eigenen Bevölkerung. Seit letztem Sommer wurden über 1.000 Angriffe auf Asylbewerber und Flüchtlingsheime gezählt. Rechtspopulisten der Alternative für Deutschland, die vorschlugen, Flüchtlinge an den Grenzen mit Waffen zu stoppen, sind in elf Landesparlamente eingezogen. In ihrem Heimatland schlug die Partei sogar Merkels konservative CDU.

Die neue rechte Kraft könnte Merkels Wiederwahl drohen, wenn sie erneut kandidiert. Ihre Reaktion war Adoption. Sie hat strengere Asylgesetze eingeführt, Abschiebungen abgelehnter Flüchtlinge erleichtert und Visa für Ehefrauen und Kinder von Anerkannten eingeschränkt. Ihre Koalition erklärte Marokko, Algerien und Tunesien zu sicheren Ländern und beendete damit die Chancen ihrer Bürger auf Asyl, obwohl durchgesickerte Dokumente des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zeigen, dass dort immer noch viele Randgruppen verfolgt werden.

Im Ausland hat Merkel versucht, der Türkei das Geld zu geben, das Flüchtlinge an der Einreise nach Europa hindert. Im Gegenzug zahlt die EU sechs Milliarden Euro. Merkel schreckte nie vor Erdogans autokratischen Gegenreaktionen zurück und erwog, die Todesstrafe für die Rebellen im Juli wieder einzuführen. Menschenrechtsberichte zeigen auch, dass Flüchtlinge in der Türkei schwerer Polizeigewalt und Inhaftierung ausgesetzt sind.

Es war ein scheinbar wirksames Abkommen: Es sperrte die Griechenland-Balkan-Route. In Wirklichkeit wurden die Massen umgeleitet. Sie nehmen jetzt die tödlichere Route über das zentrale Mittelmeer.