Warum der Indopazifik nach der Pandemie für Europa an Bedeutung gewonnen hat

Deutschland und seine europäischen Partner sind bereit für ein sinnvolles Engagement in Asien. Es basiert auf einem Verständnis der geopolitischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Region.

Ein Türschild zeigt die Charge des AstraZeneca-Impfstoffs, die derzeit in einem Impfzentrum in Bukarest, Rumänien (AP) verwendet wird.

Die Pandemie hat viele Gewissheiten auf den Kopf gestellt. Aber es hat einen wichtigen Trend in der Weltpolitik verstärkt: den Aufstieg Asiens. Während die Weltwirtschaft 2020 zusammenbrach, wuchsen Volkswirtschaften wie Vietnam und China. Eine Reihe von offenen Gesellschaften Asiens haben uns gezeigt, wie man das Virus erfolgreich eindämmen kann. Und ohne den führenden Impfstoffexporteur Indien wird die Welt die Pandemie nicht besiegen.

Als Exportnation beobachtet Deutschland den Aufstieg Asiens seit langem unter dem Blickwinkel der wirtschaftlichen Chancen. Das reicht heute jedoch zu kurz. Am Ende des Tages hat der Aufstieg der Region drei Asiens geschaffen. Da ist das vertraute Asien der Wirtschaft – offen, dynamisch, vernetzt. Es gibt jedoch auch ein geopolitisches Asien mit immer stärker werdenden Nationalismen, Territorialkonflikten, Wettrüsten und chinesisch-amerikanischer Rivalität. Schließlich haben wir ein Asien der globalen Herausforderungen, ohne das eine faire Globalisierung und die Bewältigung der Pandemie oder der Klimakrise nicht möglich sind.

Diese drei Asiens geraten zunehmend in Konflikt. Geopolitische Rivalitäten bedrohen den freien Handel. Der Kampf gegen die Pandemie mutiert zu einem systemischen Wettbewerb zwischen Demokratie und Autoritarismus. Und das rasante Wirtschaftswachstum treibt den Klimawandel an. Mit dieser Dynamik wird die Region zwischen der afrikanischen Ostküste und der US-amerikanischen Westküste, dem Indo-Pazifik, die Zukunft der Welt entscheidend prägen.

Für Deutschland bedeutet dies, dass wir mehr in diese Region investieren müssen – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch. Dazu hat die Bundesregierung erstmals Leitlinien für den Indopazifik verabschiedet, mit denen wir die Zusammenarbeit mit allen Ländern der Region anstreben: Für offene Volkswirtschaften und freien Handel; für den Kampf gegen Pandemien und den Klimawandel; und für eine inklusive, regelbasierte Ordnung.

Um diese Interessen durchzusetzen, brauchen wir die Schlagkraft eines vereinten Europas. Deshalb haben wir gemeinsam mit Frankreich und den Niederlanden mit der Arbeit an einer europäischen Strategie für den Indopazifik begonnen. Die Strategie soll bis Ende des Jahres vorliegen, und die EU-Außenminister werden diesen Monat mit den Konsultationen beginnen.

Eine solche europäische Strategie für den Indopazifik muss alle drei Asiens berücksichtigen. Die Strategie orientiert sich am asiatischen Wirtschaftsraum – die EU und Deutschland sind hier bereits gut aufgestellt. Europa ist für viele Länder der Region ein wichtiger Handels-, Technologie- und Investitionspartner. Allein Deutschland wickelt mittlerweile ein Fünftel seines Außenhandels mit den Ländern des Indopazifik ab, Millionen Arbeitsplätze hängen davon ab.

Deshalb müssen wir im Handel noch ehrgeiziger sein. Die EU hat kürzlich bahnbrechende Freihandelsabkommen mit Japan, Singapur und Vietnam geschlossen, die Umwelt- und Sozialstandards festlegen. Gleichzeitig schufen die Länder Ost- und Südostasiens Ende 2020 die größte Freihandelszone der Welt, die ein Drittel der Weltwirtschaft umfasst. Das zeigt meiner Meinung nach, dass andere das Regelwerk der Zukunft schreiben werden, wenn wir Europäer nicht aktiver werden. Deshalb ist es für die EU an der Zeit, die laufenden Verhandlungen über Handelsabkommen mit Australien und Neuseeland zügig abzuschließen – und die Verhandlungen mit Indonesien und Indien voranzutreiben.

Damit reduzieren wir auch Abhängigkeiten, die wir in der Corona-Krise am schmerzlichsten erlebt haben. Unser Prinzip sollte hier Diversifikation sein. China bleibt für uns selbstverständlich ein wichtiger Wirtschaftspartner, aber wir dürfen auch entwickelte Volkswirtschaften wie Japan und Südkorea oder die Wachstumsmärkte Südasiens nicht vernachlässigen. Das gilt auch für Südostasien – Indonesien ist in diesem Jahr Partnerland der Hannover Messe, Deutschlands größter Industriemesse.
Gemeinsam mit seinen indopazifischen Partnern kann Europa Maßstäbe für neue Technologien, menschenzentrierte Digitalisierung und nachhaltige Konnektivität setzen. Europa kann dabei auf seine Innovations- und Wirtschaftskraft sowie seine Regulierungskraft zurückgreifen. Auf dem EU-Indien-Gipfel im Mai wollen wir eine Konnektivitätspartnerschaft mit Indien starten, die Indiens und Europas digitale Wirtschaft weiter miteinander verbinden wird. Darüber hinaus werden wir enge Gespräche mit der neuen Regierung unter US-Präsident Joe Biden führen, um faire Marktzugangs- und Investitionsbedingungen zu gewährleisten. Diese Schritte stärken ein offenes und vernetztes Asien als Motor der Weltwirtschaft.

Unterdessen nehmen die Spannungen im asiatischen Raum der Geopolitik zu. Neue kalte Kriege oder gar heiße Konflikte im Indopazifik wären ein wirtschaftlicher und politischer Albtraum. Europa muss sich daher stärker gegen die Polarisierung stellen und stärker für einen inklusiven, regelbasierten Indopazifik eintreten.

Die im vergangenen Dezember geschlossene strategische Partnerschaft zwischen der EU und dem Verband Südostasiatischer Nationen ( ASEAN ) verbindet uns mit gleichgesinnten Mittelmächten. Das Interesse Deutschlands an Kooperation, offenen Schifffahrtswegen und der Achtung des Völkerrechts – wie die Sanktionen gegen Nordkorea – unterstreichen wir mit der Entsendung eines Schiffes der Deutschen Marine in die Region und der Unterzeichnung des Abkommens zur Bekämpfung der Piraterie in Asien. Morgen werden Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und ich erstmals gemeinsam mit unseren japanischen Amtskollegen über Herausforderungen für Freihandel und Sicherheit in der Region diskutieren.

Die Eindämmung geopolitischer Rivalitäten in Asien ist auch eine Voraussetzung für die Gestaltung der Zukunft mit dem Asien der globalen Herausforderungen. Als größte CO2-Emittenten werden die USA, China, Indien und die EU den Kampf gegen den Klimawandel nur gemeinsam gewinnen. Der Klimagipfel der Staats- und Regierungschefs, der nächste Woche von den USA ausgerichtet wird, schafft die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit. Davon werden Deutschland und Europa profitieren, denn wir investieren seit vielen Jahren in erneuerbare Energien, Klimaschutz und Biodiversität im Indopazifik.

Europa und die Länder des Indopazifik brauchen einander auch im Kampf gegen das Virus. Wir setzen uns für multilaterale Lösungen ein. Die EU ist mit Abstand der größte Unterstützer der internationalen Impfstoffplattform COVAX und Indien als führender Hersteller von Impfstoffen der wichtigste COVAX-Lieferant. Davon werden wir alle profitieren, denn ohne den weltweiten Impf-Rollout werden uns Mutationen im Kampf gegen die Pandemie immer wieder zurückwerfen.

Nicht zuletzt wird Europa weiterhin für Menschenrechte und Demokratie im Indopazifik eintreten. Das haben wir kürzlich mit Sanktionen gegen die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang demonstriert – und auch gegen Myanmars Generäle, die ihr Land an den Rand eines Bürgerkriegs bringen. Es ist klar, dass all dies mit einem Preisschild verbunden ist. Glaubwürdigkeit und Prinzipientreue bleiben jedoch für uns wichtige Wegweiser in der Weltpolitik.

Die Zukunft Asiens wird von seinen Menschen bestimmt. Europa ist bereit für eine neue Partnerschaft – eine Partnerschaft, die darauf basiert, den Dialog mit dem offenen Asien der Wirtschaft zu suchen, die geopolitische Rivalität in Asien gemeinsam zu zähmen und Antworten auf die Welt von morgen mit dem Asien der globalen Herausforderungen zu finden. Dies muss das Ziel der europäischen Politik sein – für und mit dem Indopazifik.

Diese Kolumne erschien erstmals in der Printausgabe am 12. April 2021 unter dem Titel „Europa und Asien nach Covid“. Der Autor ist Bundesaußenminister